PROGRAMME
Verfluchtes Gold, verwobenes Schicksal
Gesänge und Sagen von Heldinnen in nordischen Legenden des Mittelalters
Oëz, seignurs, ke dit Marie!
Die Lais von Marie de France
«Wa funde man sament so manic liet?»
Lieder aus dem Codex Manesse
Der König und die Heiligen
Karolingische Renaissance in der Musik
Verfluchtes Gold, verwobenes Schicksal
Gesänge und Sagen von Heldinnen in nordischen Legenden des Mittelalters

Photo by Carter Murdoch
Moirais erstes Projekt und Debut-Programm behandelt die altnordischen Gesänge, die im 13. Jahrhundert im isländischen Manuskript Codex Regius aufgeschrieben wurden. Die spannenden Legenden von Sigurð, Brynhild, Guðrún und Atli erzählen vom Sieg über den Drachen Fafnir, von einem verfluchten Schatz aus rotem Gold, von Intrigen am Hof der Burgunden, von einer rachsüchtigen Walküre und von drei Königen, denen in den Hallen Atlis ein grausames Schicksal widerfährt.
Es erklingen selten gehörte Instrumente wie die frühmittelalterliche Leier, Knochenflöten und die skandinavische seljefløyte, eine nordische Obertonflöte; alles Instrumente, die im Norden Europas im Mittelalter bekannt waren.
Die Gesänge sind in altnordisch und richten sich nach dem Text des Codex Regius. Dazu werden Übertitel, wenn möglich in der Landessprache des Konzertortes, projiziert.
Das volle Programm (ca. 75 Min) besteht aus folgenden Stücken:
Völuspá – Die Prophezeiung der Seherin
Sigrdrífumál – Sigrdrífa erwacht
Instrumentalstück: basiert auf einer traditionellen isländischen Rímur-Melodie
Sigurðarkviða in skamma – Der Tod von Sigurð und Brynhild
Guðrúnarkviða – Guðrúns Lied
Instrumentalstück, gespielt auf einer seljefløyte
Helreið Brynhildar – Brynhilds Reise zur Hel
Instrumentalstück, basiert auf verschiedenen Rímur-Melodien
Atlakviða – Atlis Lied
MusikerInnen: Hanna Marti: Gesang, Leier / Mara Winter: Flöten, Gesang / Félix Verry: Vielle
Guðrún - aus dem bald erscheinenden Album, Blood Treasure, Woven Fates
Oëz, seignurs, ke dit Marie!
Die Lais von Marie de France

Texte von Marie de France (ca. 1135 - ca. 1200). Musik re-kreiert von Moirai

Über Marie de France
Das 12. Jahrhundert war eine turbulente Zeit, die mit dem zweiten Kreuzzug begann, durch den arabische und byzantinische Kultureinflüsse nach Europa kamen und ein grosser Teil des kulturellen Erbes der Antike wiederentdeckt wurde. Das Feudalsystem wurde gestärkt und es gab einen grossen wirtschaftlichen Aufschwung.
Dies ermöglichte eine höhere schriftliche Produktivität, nun auch in den gesprochenen Sprachen (nicht nur in Latein): Es ist die Zeit der chansons de gestes (cantus gestualis, musikalisches Geschichtenerzählen), der Enzyklopädien und Bestiarien. Mythen und Geschichten aus der Antike werden aufgegriffen und neu bearbeitet. Es kündigt sich auch die Zeit des fin'amor/amour courtois (Troubadoure, Trouvères) und des Minnesanges an.
Unter den schriftlichen Überlieferungen dieser äusserst kreativen Zeit finden wir einige Werke der Dichterin und Geschichtenerzählerin Marie de France.
Über Marie ist wenig bekannt. Sie erhielt ihren Beinamen «de France», weil sie sich selber in einem ihrer Werke, einem Buch mit übersetzten Fabeln, vorstellt mit: «Marie ai nun, si sui de France» (Mein Name ist Marie, ich komme aus Frankreich).
Es gab viele Versuche, «Marie» mit einer historisch nachweisbaren Person dieses Vornamens in Verbindung zu bringen, aber keiner war völlig überzeugend. Zu ihrer Herkunft bestehen mehrere Theorien: Alle stimmen darin überein, dass sie angesichts ihrer hohen Bildung und ihrer Kenntnis der Dichter der Antike wahrscheinlich aus adligen Verhältnissen stammte. Marie de France verfasste ihre Verse in Anglo-Normannisch, einem am englischen Hof gesprochenen Dialekt des Altfranzösischen, so dass man annimmt, dass sie dort lebte und arbeitete. Sie übersetzte einige berühmte lateinische Werke, wie z. B. die Fabeln von Äsop, in anglo-normannische Verse. Über den Ursprung ihrer zwölf Lais schreibt sie, dass sie diese von bretonischen Spielleuten erzählt oder gesungen gehört habe und sie in ihre eigene Sprache (Anglo-Normannisch) übersetze, damit sie «für immer in Erinnerung bleiben». In den letzten Zeilen mehrerer Lais erwähnt Marie, dass aus der jeweiligen Geschichte ein Lied gemacht wurde, das von bestimmten Instrumenten begleitet wurde. Es scheint daher angebracht, sich vorzustellen, dass die Musik von Anfang an mit der Aufführung der Lais verbunden war.

Über die Musik
Bei der Re-Kreation von Maries Lais verwendeten Moirai den Hinweis der Autorin in den Schlusszeilen einiger Lais, wo sie erwähnt, dass ein Musikstück über die eben erzählte Geschichte komponiert wurde und wie dieses genannt wird.
Es gibt einige anonyme Lais, die mit Musiknotation überliefert und in Trouvère-Liedmanuskripten zu finden sind, z. B. im Chansonnier de Noailles (F-Pnm Français 12615, entstanden um 1300). Einer dieser Lais heisst Li lais du kievrefoel, ein anderer Li lais des amans. Diese Lais-Melodien lieferten Moirai ein Vokabular an Tonmaterial für die Vertonung von Maries Lais, insbesondere in den beiden Fällen, in denen es eine Geschichte mit demselben Namen gibt (d. h. das oben erwähnte Chievrefoil und Les deus amanz).
Ausgehend von diesen anonymen Lai-Melodien, Maries fesselnden Texten, und gleichzeitig geführt von ihren eigenen musikalisch-kreativen Instinkten und Intuitionen gestalten die MusikerInnen von Moirai eine musikalische Re-Kreation von Maries anglo-normannischen Liedern vor. Moirai erheben nicht den Anspruch, dass die Stücke genau so klingen, wie sie zu Maries Zeiten geklungen haben, sondern wollen Maries Werk mit einer historisch informierten und inspirierten Herangehensweise eine Stimme geben, mit dem gleichen ultimativen Ziel wie die Autorin: pur remembrance a tuz dis mais (um für alle Zeiten an sie zu erinnern).

Ein volles Konzertprogramm (ca. 70 min) enthält folgende Stücke:
I. Prologue (Marie de France) Re-Kreation von Moirai
II. Chievrefoil (Marie de France) Re-Kreation von Moirai
III. Lai du Kievrefoil (anonym, ca. 1300)
IV. Les deus amanz (Marie de France)
Re-Kreation von Moirai
V. Chaitivel (Marie de France) Re-Kreation von Moirai
VI. Li lais des amans (anonym, ca. 1300)
VII. Laustic (Marie de France) Re-Kreation von Moirai
MusikerInnen: Hanna Marti: Gesang, Harfe / Mara Winter: Flöten / Félix Verry: Vielle
«Wa funde man sament so manic liet?»
Lieder aus dem Codex Manesse

In den Jahren um 1300 bis etwa 1340 sammelte die Patrizierfamilie Manesse in Zürich die Lieder berühmter Minnesänger. Das Resultat, die manessische Liederhandschrift, auch genannt Codex Manesse, enthält etwa 6000 Strophen der berühmtesten Dichter in mittelhochdeutscher Sprache. Bekannt ist die Handschrift auch für ihre bunten Illustrationen, in denen die Minnesänger in idealisierter Form dargestellt werden.
Nahe verbunden mit der Manesse-Familie war der Minnesänger und Zürcher Bürger Johann Hadlaub (2. Hälfte 13. Jh. - Anfang 14.Jh.). Hadlaub schrieb sogar ein Lied über den Sammel-Eifer der Familie und den Prozess der Entstehung des Codex Manesse: «Wa vunde man sament so manic liet?» (Wo fände man so viele Lieder beisammen?), das den Titel des Konzertes liefert, dient Morai als Startpunkt einer akustischen Reise durch die Liederhandschrift. Im Codex Manesse sind zwar «nur» Texte, keine Noten, überliefert; die Melodien sind aber teils in anderen Quellen, etwa der Jenaer Liederhandschrift, die etwa zur gleichen Zeit wie der Codex Manesse entstand, überliefert. Wo keine Melodien überliefert sind, re-kreieren Moirai auf Basis des erhaltenen Ton- und Melodiematerials in der Jenaer Liederhandschrift eine historisch plausible Version.
Ähnlich vielleicht dem Inhalt eines heutigen iPods, der einen Eindruck der Musikkultur seines/seiner Besitzer/in vermittelt, gibt der Codex Manesse einen Einblick in den Musikgeschmack der Familie Manesse um das Jahr 1300. Diesem Vergleich folgend «stöbern» die vier MusikerInnen von Moirai sozusagen nach Lust und Laune im Codex und beleuchten eine Auswahl der darin vorgestellten Dichter, deren Lieder im Konzert erklingen. Das Konzert wird optisch durch Projektionen der Illustrationen im Manuskript begleitet.
MusikerInnen: Hanna Marti: Gesang, Harfe/ Mara Winter: Flöten / Félix Verry: Vielle / Karin Weston: Gesang
Der König und die Heiligen
Karolingische Renaissance in der Musik

Um sein grosses Reich politisch und kulturell zusammenzuhalten, befiehlt der karolingische Herrscher Karl der Grosse (ca. 747-814), in seinem gesamten Herrschaftsgebiet administrative Praktiken und verschiedenste kulturelle Elemente zu vereinheitlichen. Dazu gehört der Kirchenkanon, und damit auch die liturgischen Gesänge. Eine schwierige Aufgabe in einer Zeit, in der Musiknotation noch nicht oder nur ansatzweise besteht und musikalisches Wissen und Können fast ausschliesslich in einer mündlichen Tradition weitergegeben wird. Wie uns Quellen überliefern, gelingt es trotz mehrerer Versuche nicht, den „echten, römischen“ Gesang in das Gebiet nördlich der Alpen zu importieren und die Gesangspraktiken der verschiedenen Kulturen zu vereinheitlichen.
Bei dem Unterfangen (und wohl auch dem Widerstand dagegen) kommt es jedoch zu interessanten Entwicklungen in der Musik des 8. bis 10. Jahrhunderts: Neue musikalische Notationen und kompositorische Formen (wie Tropen und Sequenzen) kommen auf, während traditionelle Formen wie Kirchenchoräle, Hymnen und Litanien beibehalten, aber manchmal adaptiert werden. Einige Stücke in den gesprochenen Sprachen (wie Altfranzösisch und Althochdeutsch) werden aufgeschrieben und sind uns so erhalten, einige werden ins Lateinische übersetzt. Ein Theorietraktat und ein paar frühe Musikmanuskripte geben Aufschluss über die frühesten bekannten Improvisations-Praktiken für zweistimmige Musik in Europa.
Moirais neues Konzertprogramm "Der König und die Heiligen" lässt eine hypnotische Litanie erklingen, die alle Heiligen dazu aufruft, den König zu schützen und ihm Sieg zu bringen. Das Publikum hört ein Lied, das Karl den Grossen und seinen Hofstaat preist. Dazu kommen viele Sequenzen, die meisten davon aus dem Umfeld des Klosters in St. Gallen, das ein wichtiges kulturelles Zentrum war. Die Legenden vieler Heiligen werden in diesen Liedern vorgestellt, zumeist in Latein, aber es wird auch in Altfranzösisch und Althochdeutsch gesungen. Im Programm kommen Stücke, die Moirai aus Neumenhandschriften rekonstruiert, zusammen mit Rekonstruktionen von Stücken, die ohne Notation überliefert sind. Es erklingen früheste zweistimmige Gesänge und die instrumentalen Ursprünge der Sequenzmelodien werden erforscht. All dies soll dem Publikum die musikalische Vielfalt der "karolingischen Renaissance" präsentieren.
Programm: 60-80 Minuten
Musikerinnen: Hanna Marti: Gesang, Harfe, Leier / Manuela Coelho-Lopes: Gesang / Stef Conner: Gesang / Mara Winter: Flöten, Gesang
Sint lumbi vestri praecincti - Zweistimmiges Responsorium für St. Othmar, Abt von Sankt Gallen